Rezension                                                                               Anouar Benmalek : Die Liebenden von Algier
 
Matthias Kehle, Schriftsteller und Journalist
      Die Schweizerin Anna reist am Ende ihres Lebens nach Algerien. Sie hat nur ein Ziel: Die Gräber ihrer beiden algerischen Kinder zu finden, die kurz nach dem 2. Weltkrieg von der Mudschahidin abgeschlachtet wurden. Anna engagiert einen bettelarmen Jungen, der sie - als Einheimische verkleidet - ins Gebirge führen soll, doch bald geraten sie in die Fänge von Terroristen. Anna muss feststellen, dass im Algerien der 90-er Jahre immer noch im Namen Allahs auf brutalste Weise gemordet wird - der Bürgerkrieg ist erbarmungslos. Weder auf ihr Alter, noch auf das ihres zehnjährigen Führers nimmt irgendjemand Rücksicht.
     Anouar Benmalek, einer der bedeutendsten algerischen Schriftsteller und Mitbegründer des Komitees gegen Folter, hat kein anklagendes Buch gegen den Terror in seinem Land geschrieben, und das ist gut so. Er erzählt die Liebesgeschichte des Zirkusmädchens Anna und des schüchternen Algeriers Nasreddin, die sich finden, sich lieben, um die halbe Welt reisen, mit ihren Kindern glücklich sind, schließlich diese und sich selbst verlieren. Dabei geschehen für einen Mitteleuropäer unfassbare Morde, Vergewaltigungen und Hinrichtungen. Mal ist es die bittere Armut der Menschen auf dem Müllberg, mal sind es die politischen Hinterlassenschaften der Kolonialherren, die die Menschen zu diesen Grausamkeiten treiben.
     Die Geschichte ist in zwei Erzählstränge geteilt und dadurch spannend: In dem Moment, in dem Anna in höchster Gefahr ist, dreht Benmalek die Uhr um 50 Jahre zurück.
     Einem minderbegabten Schriftsteller wäre der Roman missraten, hätte er auf die "Kraft der Liebe" zwischen Anna und Nasreddin gesetzt, der es gelingt, alle Gefahren zu meistern. Während keinem Moment ist die Liebesgeschichte kitschig. Dazu sind die Bedrohungen zu groß.

Matthias Kehle
Kurzbeschreibung
      "es gibt nicht fünf oder sechs Weltwunder, sondern nur ein einziges: die Liebe" (Jaques Pevert)

Die Schweizer Zirkusartistin Anna und der Algerier Nasreddin lernen sich in den Wirren des Zweiten Weltkriegs in Algier kennen, werden auseinandergerissen, finden sich wieder und werden in der Zeit der Unabhängigkeitskämpfe scheinbar für immer getrennt. Anouar Benmalek erzählt vor dem Panorama seines vom Krieg versehrten Landes die Geschichte einer großen Liebe, die die schrecklichsten Katastrophen überdauert und wie in einem Märchen endet.

Anna, eine Frau am Ende ihres Lebens, kommt 1997 nach Algier. Sie will noch einmal den Spuren eines früheren Lebens nachgehen, das sie ihrem Genfer Ehemann und ihrem Sohn immer verheimlicht hatte: Ihre Liebe zu Nasreddin, ihrem ersten Ehemann, den sie 1941 als junge Zirkusartistin kennengelernt hatte, als es ihren Wanderzirkus nach Algerien verschlug, und den sie nach seiner Verhaftung 1955 durch die französische Armee und ihrer eigenen Ausweisung aus Algerien nie mehr wiedergesehen hat. Mehr als vierzig Jahre danach ist Algerien unabhängig geworden, doch noch immer wird das Land vom Terror geschüttelt. Ganze Dörfer fallen dem Bürgerkrieg zum Opfer. In dieser Situation macht sich Anna als Araberin verkleidet und mit Hilfe von Dschallal, einem kleinen Straßenjungen, auf den Weg in das Bergdorf, aus dem Nasreddin stammt. Sie möchte dort das Grab ihrer beiden Kinder besuchen, die damals von den Mudschahidin in einer Racheaktion ermordet worden waren. Und sie hofft gegen jede Vernunft, Nasreddin wiederzusehen. Die Unternehmung beginnt für das ungleiche Paar fast wie eine Abenteuerfahrt und führt beide schließlich an die Grenze des Ertragbaren. Anouar Benmalek erzählt zart und poetisch, aber immer wieder auch grausam-realistisch die Geschichte von Anna und Nasreddin, die sich gegen alle Widerstände finden, verlieren, wiederfinden und scheinbar endgültig getrennt werden. Und am Ende gilt für beide, was Zehra, Nasreddins Mutter, ihrem Sohn einmal gesagt hat: "Das Leben ist seltsam, mein Sohn! Auch noch im schlimmsten Augenblick wirst du niemals genug davon bekommen, denn das Leben ist wie Salzwasser: Je mehr du davon trinkst, mein Sohn, desto durstiger wirst du!""Anouar Benmalek - merken Sie sich diesen Namen! Er steht für einen der brillantesten Romane dieses Herbstes." (L'Express)Anouar Benmalek wurde 1956 in Casablanca geboren und besitzt die algerische und französische Staatsbürgerschaft. Er ist Privatdozent für Mathematik in Rennes, Journalist, engagierter Demokrat, Mitbegründer des Algerischen Komitees gegen die Folter (CACT) und einer der bedeutendsten Schriftsteller des heutigen Algerien.
Klappentext
      Die Schweizer Zirkusartistin Anna und der Algerier Nasreddin lernen sich in den Wirren des Zweiten Weltkriegs in Algier kennen, werden auseinandergerissen, finden sich wieder und werden in der Zeit der Unabhängigkeitskämpfe scheinbar für immer getrennt. Anouar Benmalek erzählt vor dem Panorama seines vom Krieg versehrten Landes die Geschichte einer großen Liebe, die die schrecklichsten Katastrophen überdauert und wie in einem Märchen endet. "Es gibt nicht fünf oder sechs Weltwunder, sondern nur ein einziges: die Liebe" Jacques Prévert
Umschlagtext
      Anouar Benmalek erzählt zart und poetisch, aber immer wieder auch grausam-realistisch die Geschichte von Anna und Nasreddin, die sich gegen alle Widerstände finden, verlieren, wiederfinden und scheinbar endgültig getrennt werden. Und am Ende gilt für beide, was Zehra, Nasreddins Mutter, ihrem Sohn einmal gesagt hat: "Das Leben ist seltsam, mein Sohn! Auch noch im schlimmsten Augenblick wirst du niemals genug davon bekommen, denn das Leben ist wie Salzwasser: je mehr du davon trinkst, mein Sohn, desto durstiger wirst du!"
Über den Autor
      Anouar Benmalek wurde 1956 in Casablanca geboren und besitzt die algerische und französische Staatsbürgerschaft. Er ist Privatdozent für Mathematik in Rennes, Journalist, überzeugter Demokrat, Mitbegründer des Algerischen Komitees gegen die Folter (CACT) und einer der bedeutendsten Schriftsteller des heutigen Algerien.

Pressenotiz zu : Süddeutsche Zeitung, 26.08.2000
Perlentaucher.de
      Das "historische Drama Algeriens", schreibt Christoph Vormweg, hat der 1956 geborene, als Privatdozent in Rennes lebende Autor, mit der "einfühlsamen, nie sentimentalen Beschreibung einer großen Liebe" verbunden. Dabei geht es um die Schweizer Artistin Anna, deren Zirkustruppe sich 1942 ins Exil nach Nordafrika begeben hat. Dort begegnet sie der großen Liebe, dem Araber Nasreddin, aber ihr Leben wird durch das Verschwinden des Mannes und den Mord an ihren zwei Kindern beinahe zerstört. Benmalek hat mit seiner "luziden, tabulosen Drastik" des Stils den Rezensenten an den Romancier Rachid Mimouni erinnert. Die "spannungsreich" verwobenen "Zeitebenen von Welt-, Befreiungs- und Bürgerkrieg" bieten nirgends fraglose Helden an; und dass die beiden Liebenden am Ende doch noch wieder zusammenfinden, meint Vormweg, ist nur "ein symbolischer Mutmacher", eine Art "Atempause in einem Land der Angst".

Berliner LeseZeichen, Ausgabe 04/2000
www.berliner-lesezeichen.de

Liebe und Terror
      Dies ist mehr ein Roman des Entsetzens denn einer der Liebe. Es geht um Algier, und das heißt, es geht um Mord und Totschlag, Armut, Verachtung, Haß, Engstirnigkeit, Not und Tod und Gewalt, Gewalt, Gewalt.

      In dem von den Krämpfen des gegenseitigen Mordens und von den Wirren des Zweiten Weltkriegs geschüttelten Land finden sich eine Schweizer Zirkusartistin und ein junger algerischer Bergbauer zur großen alles übersteigenden Liebe, heiraten, haben zwei Kinder, die von den Mudschaheddin, den fanatischen Glaubenskämpfern, ermordet werden. Sie werden getrennt, erdulden während der Unabhängigkeitskämpfe Gefängnis, Verfolgung, Bedrohung aller Art, bis sie schließlich beide - alt, verbraucht und durch mancherlei Schicksale wandernd- einander wiederfinden. Die Kraft und Ausdauer der Artistin Anna, die nach dem Tod ihres Schweizer Ehemanns sich aufmacht, um im vom Terror gebeutelten Algerien nach ihrer ersten Liebe Nasreddin zu suchen, von den Terroristen gefangen wird und nur um ein Haar entkommt - diese Kraft reicht auch noch aus, einen kleinen Straßenjungen vor dem sicheren Tod zu retten und ihm bei einem Freund ein neues Zuhause zu geben.

      Die Widmungen, die dem Buch vorangestellt sind, lassen darauf schließen, daß hier mehr oder weniger eine Familiengeschichte erzählt wird. Auf alle Fälle haben wir es bei diesem Autor mit einer authentischen Stimme Algeriens zu tun - kenntnis- und detailreich, genau und zutiefst verzweifelt über das Schicksal dieses Landes. Da das Buch in einigen Partien im Jahre 1997 spielt, ist wohl anzunehmen, daß sich an diesen Zuständen kaum etwas geändert haben wird, daß man nicht in den Iran oder nach Afghanistan reisen muß, um die ganze fundamentalistische Schreckensherrschaft des Terrorismus zu spüren zu bekommen.

      Ich muß gestehen, daß ich mich mit diesem Buch sehr schwergetan habe. Denn obgleich die Botschaft schließlich ja so etwas wie ein Triumph der Liebe, eine Botschaft der Hoffnung ist, herrscht die Beschreibung des Entsetzlichen vor. Wie viele Kehlen hier durchgeschnitten, wie viele Frauen vergewaltigt und verhöhnt, wie viele Menschen bis zum Äußersten gedemütigt werden, was Hunger und Angst und Hilflosigkeit angesichts der Brutalität des Terrors bedeuten - das ist der vorherrschende Eindruck. Bürgerkrieg als Dauerzustand - das ist es, was diese Lektüre vermittelt. Alles, was wir über islamischen Fundamentalismus je gehört haben, bestätigt uns dieser Roman - ein Roman, der von einem Insider geschrieben wurde.

      Anouar Benmalek, der sich vehement für sein geplagtes Land engagiert, schreibt in Französisch. Er hat auch, so geht es aus dem Klappentext hervor, eine französische Staatsbürgerschaft und lebt in Rennes. Das kann ich verstehen. Vielleicht würde er sonst selbst irgendwann mit durchschnittener Kehle irgendwo in Algier am Straßenrand liegen. Keine einfache Lektüre in einer Welt, in der wir jeden Tag ohnehin mit den Meldungen des Horrors und der Verzweiflung überflutet werden. Ein ernstes, ein ehrliches, ein trauriges Buch mit einem Hauch der Hoffnung - nicht auf das große Ganze, aber auf die Kraft der einzelnen, sich in diesem Ganzen zu bewahren. Was Menschen einander an Entsetzlichem antun, wird dadurch nicht gemildert, aber vielleicht erträglicher.

Neue Zürcher Zeitung
Blutige Schnitte durch Algeriens Geschichte
Ludwig Ammann


      Schon die Griechen fanden: An dieser Küste hausen Barbaren. Damit hatten die Berber ihren Namen. Die Europäer der frühen Neuzeit dachten ebenso: Was heute Maghreb heisst, der "Westen" der Araber, war für sie schlicht die Barbarey. Vier Jahrhunderte später hat sich die Einstellung kaum geändert: Als Anna, die Schweizer Zirkusartistin und Heldin des neuen Romans von Anouar Benmalek, 1955 in Algier ihren Geliebten Nasreddin ehelicht, ist sie für den Standesbeamten der französischen Kolonisten eine Abtrünnige: "Madame, Sie verraten Ihre Rasse!" Inferior sei die nordafrikanische Rasse, hiess es 1892; die Köpfe der Berber und Araber, so ein Offizier, seien erst nach dem Abschneiden zu zivilisieren. - Jetzt herrscht Krieg: Die Guerilla der FLN möchte das Land von den Kolonisten befreien. Die Menschen zwischen den Kämpfern haben Angst. Mit Grund. Schon an der ersten Strassensperre werden die Liebenden auf dem Heimweg ins Gebirge, die Aures - Nasreddin ist echter Berber - von französischen Militärs getrennt.

     Wenige Seiten später hat Folter Nasreddin gebrochen, ist seine Frau des Landes verwiesen, haben die Guerilleros aus Rache für die von ihm verratenen Mitkämpfer seiner Mutter und seinen Kindern die Kehle durchgeschnitten. Mit dieser Trennung, einem brutalen Schnitt, beginnt ein Todesreigen, der sieben Jahrzehnte blutrünstiger Geschichte, das Schicksal Algeriens in diesem Jahrhundert, umspannt; und hebt eine der bewegendsten Liebesgeschichten unserer Tage an. Denn nach vier Jahrzehnten der Trennung und einer zweiten Ehe kehrt Anna nach Algerien zurück, um das Grab ihrer Kinder zu suchen - und ihren ersten Mann.

     Was sie nicht sehen will, ist der Bürgerkrieg, in dem sich das Land zerfleischt: wie nunmehr islamistische Terroristen einer Mutter den abgeschlagenen Kopf ihres Sohns auf einem Serviertablett zustellen - das Bild, mit dem das Leben einige Strassenzüge weiter Nasreddin nach seinem grotesk verläpperten, aus Überdruss am eigenen einsamen Dasein unternommenen Suizidversuch wieder willkommen heisst. Die Tränen eines jungen Erdnussverkäufers rühren Anna, aber sie ahnt nicht, was sich dahinter verbirgt: das Elend eines Lebens auf der Strasse - merkwürdig, auch das heisst bei uns Berber sein! -, die Wahl zwischen Müllkippe und Strichertum, der gewaltsame Tod des einzigen Freundes. Eine winzige Atempause gönnt uns der Autor an diesem Punkt, lässt Anna und den Jungen einander näher kommen, lädt uns zu einer Verkleidungsposse ein: Anna spielt mit seiner Hilfe die Araberin im weissen Schleier, die auf dem Weg ins Gebirge von ihrem Enkel begleitet wird. Dann rollt der nächste Kopf, und die "Afghanen" haben die beiden in ihrer Hand.

     Selten hat man beim Lesen solche Angst umzublättern - und selten ist der Zwang grösser, es doch zu tun; es kostet Kraft, dem Schrecken ins Gesicht zu sehen, und es muss sein. Benmalek berichtet von Akten der Barbarei, als gälte es zu beweisen, dass der Maghreb seinen alten Namen zu Recht trug. Aber die Menschen sind hier nicht einfach unmenschlich, grausam und roh: Sie sind Opfer der Entwürdigung, die nach Rache dürsten, und das auslösende Unrecht lässt sich politisch beschreiben: als Rassismus der Kolonialherren oder - dies zeigt sich in der wüsten Geburtsszene Nasreddins - als Patriarchat. Nur gegenüber den Gotteskriegern verschlägt es dem Chronisten vor Abscheu den analytischen Hintersinn: Hier genügt ihm das individualpsychologische Argument, dass Halbstarke sich gern aufführen wie Moses und Al Capone zusammen; was den teuflischen Reiz des Jihad denn doch nicht ganz erklärt.

     Verkappte Reportage, denkt man fast unwillig zu Beginn, zumal der Mathematiker Benmalek auch Journalist ist und uns wie CNN überall da hinjagt, wo es brennt. Kolportage, fügt man hinzu, wenn er die oft blutigen Schnitte wie das Fernsehen am dramatischen Höhepunkt setzt und das Schicksal die Liebenden mehrfach wie in einem Schauerstück trennt. Aber erstens ist die Parallel-Montage und Architektur der Rückblenden kunstvoller, als es scheint. Und zweitens setzt Benmalek, fern aller TV-Konfektion, auf grösstmögliche Unmittelbarkeit: Kein gehechelter Kommentar, aber auch keine gedrechselte literarische Selbstreflexion tritt zwischen Leser und Geschehen, schützt vor der Wucht einer erbarmungslosen Wirklichkeit. Darum auch das zunächst irritierende Präsens des Reporters, das vielmehr ein Präsens der Distanzlosigkeit ist, der Gegenwärtigkeit, des rohen Zuckens von Fleisch, denn so schnell heilt die Zeit die Wunden nicht, dass man sagen könnte: Es war einmal.

     Die Rückkehr des Realen erlebt die Literatur des Maghreb seit Ende der achtziger Jahre: Eine neue Generation, aber auch Heroen des literarischen Aufbruchs wie Rachid Boudjedra erzählen heute direkter, nähern sich der Reportage; für die Jüngsten ist das Zeugnis des alltäglichen Terrors fast Pflicht. Aber was roh scheint, ist bei Benmalek eher eine Ästhetik von tragisch-grotesker Art brut, die der Autor als Spiegel des Factum brutum verwendet. Die Verbitterung eines Ambrose Bierce liegt ihm dabei fern; Benmalek, Mitbegründer des Algerischen Komitees gegen die Folter, steht eher in der Nachfolge von Camus. Keine Figur, die nicht Algerien, dieses grausame Land, verflucht - und doch kann, wer ins Exil geht wie einst Nasreddin oder auch der nach Frankreich emigrierte Schriftsteller selbst, seiner Heimat nicht einfach den Rücken kehren. Zugehörigkeit erscheint als Schicksal, nicht aber die Taten, die einer begeht. Gott kommt über dem Abschlachten abhanden - er wäre, wenn es ihn gäbe, der wahre Barbar. Doch was bleibt, wenn der gleissende Himmel von transzendenten Sinnversprechen leergefegt wird?

     Die Zyklen der Barbarei wären unerträglich, gäbe es nicht den Pfeil der Hoffnung: die Liebe. Sie beginnt verlegen. Zwei Ausgestossene finden zögernd, voll Misstrauen und Groll zueinander. Dann das panische Entzücken Annas, als "ihr Fleisch zum ersten Mal an eine seltsame Insel anlegt: den Körper eines Mannes". Hier und immer wieder brilliert Benmalek als Erotiker. Das Pendant seiner Sorge um den gefolterten Leib der Kreatur ist eine derbe und eben darin zärtliche Sinnlichkeit. Die Nahsicht der Gerüche schenkt uns zwei einzigartige Wiederbegegnungsszenen. Fast schon verpatzt enden sie, wäre da nicht der Duft von Klatschmohn und dann von Mimosen, der Nasreddin die verlorene Geliebte noch in ihrer tiefsten Erniedrigung wiedererkennen lässt. Es folgt das schönste Liebesgeständnis: "Bei mir wackeln die Zähne, ich bin faltig wie ein alter Affe, aber ich liebe dich!" Da ist das Schlimmste überstanden, auch der kathartische Augenblick, in dem die Geiseln endlich ihrem Peiniger das Hirn zertrümmern - erschreckend durch unsere eigene Lust und Teilnahme. Dies ist ein wilder und erschütternder Roman über Barbaren wie wir.

Ludwig Ammann

Ps: Merci au site dzlit.free.fr d'avoir réalisé cette revue de presse en allemand!

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ANOUAR BENMALEK
 wurde 1956 in Casablanca geboren und besitzt die algerische und die französische Staatsbürgerschaft. Er hat Mathematik studiert, lebte längere Zeit in Kiew, war danach Professor an der Université de Science et Techinique in Algier und hat 1988 das Algerische Komitee gegen Folter (CACT) mitberündet. Seit 1991 lehrt er Mathematik als Privatdozent in Rennes ,ist Journalist, überzeugter Demokrat, und einer der bedeutendsten Schriftsteller des heutigen Algerien, er hat Romane, Erzählungen und Lyrik veröffentlicht.

 


»DIE LIEBENDEN VON ALGIER«
 
Anouar Benmalek - Die Liebenden von Algier

 
Anouar Benmalek

Die Liebenden von Algier
Roman

Originaltitel: Les amants désunis
Originalverlag: Calman-Lévy,Paris 1998
Aus dem Französischen von Hans Thill

Gebundenes Buch, 413 Seiten, 13,5 x 21,5 cm
ISBN-10: 3-630-87072-4
ISBN-13: 978-3-630-87072-4
€ 22,50 [D] / SFr 39,50

Luchterhand Literaturverlag

Erscheinungstermin: Februar 2000
Titel ist lieferbar



 
 

Anna, eine Frau am Ende ihres Lebens, kommt 1997 nach Algier. Sie will noch einmal den Spuren eines früheren Lebens nachgehen, das sie ihrem Genfer Ehemann und ihrem Sohn immer verheimlicht hatte: Ihre Liebe zu Nasreddin, ihrem ersten Ehemann, den sie 1941 als junge Zirkusartistin kennengelernt hatte, als es ihren Wanderzirkus nach Algerien verschlug, und den sie nach seiner Verhaftung 1955 durch die französische Armee und ihrer eigenen Ausweisung aus Algerien nie mehr wiedergesehen hat. Mehr als vierzig Jahre danach ist Algerien unabhängig geworden, doch noch immer wird das Land vom Terror geschüttelt. Ganze Dörfer fallen dem Bürgerkrieg zum Opfer.
In dieser Situation macht sich Anna als Araberin verkleidet und mit Hilfe von Dschallal, einem kleinen Straßenjungen, auf den Weg in das Bergdorf, aus dem Nasreddin stammt. Sie möchte dort das Grab ihrer beiden Kinder besuchen, die damals von den Mudschahidin in einer Racheaktion ermordet worden waren. Und sie hofft gegen jede Vernunft, Nasreddin wiederzusehen. Die Unternehmung beginnt für das ungleiche Paar fast wie eine Abenteuerfahrt und führt beide schließlich an die Grenze des Ertragbaren.
Anouar Benmalek erzählt zart und poetisch, aber immer wieder auch grausam-realistisch die Geschichte von Anna und Nasreddin, die sich gegen alle Widerstände finden, verlieren, wiederfinden und scheinbar endgültig getrennt werden. Und am Ende gilt für beide, was Zehra, Nasreddins Mutter, ihrem Sohn einmal gesagt hat: »Das Leben ist seltsam, mein Sohn! Auch noch im schlimmsten Augenblick wirst du niemals genug davon bekommen, denn das Leben ist wie Salzwasser: Je mehr du davon trinkst, mein Sohn, desto durstiger wirst du!«